horra titel

Uwe Topper: horra.

Die ersten Europäer

(Tübingen 2003)

 

 

Kurzbeschreibung

Die von Topper hier vorgestellte ethnische Gruppe der frühen Metallhersteller und Händler, von ihm HORRA genannt, ist eine seit mehreren Jahrzehnten in einzelnen Forschungsarbeiten auftauchende Hypothese, die zunehmend an Wirklichkeit gewinnt. Neuere Ausgrabungsfunde und Analysen der Archäologen erlauben einen zusammenfassenden Überblick über diesen entscheidenden Moment in der Frühgeschichte: den Übergang von der Steinzeit zur Metallzeit.
Die untersuchten Themen berühren eng verbundene Zusammenhänge wie den zwischen Schmied, Bier und Ziegenwirtschaft, oder Metallguß, Seehandel und Pferdekarren. Dabei werden die technischen Neuerungen der Frühzeit jeweils unter zwei Gesichtspunkten beleuchtet: als archäologisch erfaßte Reste einer uns unbekannten Zivilisation, und als weiterlebende religiöse und sagenhafte Überlieferungsbruchstücke, deren Aussagen teilweise erst erschlossen werden müssen. Dabei zeigt sich, daß die Mythen und Religionsthemen der Antike und des Mittelalters von diesem Schock geprägt sind und bis in heutige Zeit nachwirken.
Forscher, die an dieser neuen Hypothese arbeiten, – wie Sigrid Hunke, Günter Lüling, Jacques Touchet, Gunnar Heinsohn – haben jeweils ihre eigenen Vorstellunge, die in Einzelheiten stark voneinander abweichen, insgesamt jedoch zu einem neuen Weltbild hinführen. Toppers Beitrag bereichert die anderen Vorstöße, indem er den künstlerischen Blickwinkel berücksichtigt, den er als Kenner und Entdecker von Felsbildern in diesen Zusammenhang einbezieht. Daraus ergibt sich eine neue Sicht der Entstehung der Schrift, die ja als wichtigstes Mittel zur Durchsetzung der hochzivilisierten Staatsform der Metallzeit unabdingbar war.
Mit dem vorliegenden Buch wird kein Patentrezept für eine Neuordnung der Frühgeschichtsmodelle geboten, sondern ein anregender Einblick in eine Welt des Umsturzes, die durch die Erfindung des Metallgusses ausgelöst wurde und bis heute wirksam blieb.

Die Arbeit erfolgte auf jahrzehntelanger Suche im ethnographisch-archäologischen Umfeld zwischen Indien und Portugal.

Eine Abbildung aus dem Buch veranschaulicht die Überraschungen, die uns begegnen können: Gesichter in Stuck aus dem alten Ägypten mit Physiognomien, die wahrlich nicht ägyptisch wirken sondern mittelasiatisch, Horra:

horra gesichter

Das Buch steht unter dem Motto: „Vorgeschichtsschreibung ist science fiction à l’inverse“ – ein umgekehrter Zukunftsroman. Das könnte abfällig aufgefaßt werden, birgt zugleich auch die Gefahr, daß dieser Roman nicht ernstgenommen wird, soll aber letzten Ende darauf hinweisen, daß unsere Kenntnis der Vorgeschichte sehr gering ist und eher im Reich der Phantastik angesiedelt. Das muß keine Abwertung sein, sollte eher als Warnung dienen: Was die Vorgeschichtsschreibung uns darbietet, ist so wenig real wie ein Blick horra felsbilderin die Zukunft. In der Möglichkeit zur freien Entfaltung liegt die besondere Stärke dieser Wissenschaft. Wie der Leser bald merken wird, werden hier so wenig wie möglich „feste Erkenntnisse“ angeboten, als vielmehr eine neue Auswertung der archäologischen Funde ohne Rücksicht auf vorhandene Muster.
Einige Kapitelüberschriften lassen schon ahnen, in welcher Hinsicht hier neue Wege beschritten werden:
Die ersten Schmiede
Schamanen
Bogenschützen
Entstehung der Schrift
Schichten und Kasten
Rache ist Macht
Himmelskatastrophen
Der Teufel
Die Göttinnen Griechenlands

Die Sagenmotive, die uns von den Horra gebracht wurden, sehen wir noch an den romanischen Kirchen als Schmuck vor uns: Es ist der Tierstil der Steppe, der uns skurril und sogar erschreckend entgegenstarrt, meist unverständlich, undeutbar. Und doch wird im Gesamtverlauf der Untersuchung deutlich, daß dieser unübersehbare Bestandteil der abendländischen Kunst uns nahesteht und unsere religiösen Vorstellungen geprägt hat.

Die grundlegenden Normen unserer Zivilisation – wie Kalender, Maße und Gesetze – sind Errungenschaften der horrischen Kulturstufe, sind Vermächtnis jener ersten Schmiede, die einst ein Friedensreich verwalteten, das von Innerasien bis zum Atlantik reichte und darüber hinaus.

 

see also the English summary in migration and diffusion (2003)

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